Etwas für die Ohren gibt es HIER
CD-Rezension von Martin Rzeszut:
Da schubst das Schaf!
Oh klasse! Da liegt sie, die neue und erste CD von “Julain’s Wake”: auf dem Cover blökt mich grinsend ein Schaf an. Titel “Kneipenfolk - Live im Studio” Das Label heisst “schafschubser records” ...aha, deshalb das Schaf….ja, immerhin liegen Kiel und Northumberland ungefähr auf gleicher nördlicher Breite.
Auf dieser CD geht es eindeutig um das Schaf! ...auch wenn quasi zur Tarnung das Foto zweier gemütlich schlafender (Schafhüte?-)Hunde die Scheibe ziert. Beim Anhören der CD reisst mich zu guter Letzt ein heftig lautes Schafgeschrei unmittelbar nach Track 18 heftig aus dem Sessel: no doubt about: Schleswig-Holstein gehört nun endlich zu den nördlichen britischen Inseln und ich sitze offensichtlich am Firth of Kyle!
“Julain"s Wake” nennt sich eine äusserst sympathische Kieler Folk-Formation, die seit ca. 2006 zunächst in wechselnden Besetzungen und nun als Quartett den Kieler Kneipengängern ein festes Repertoire von ca. 25 Stücken anbietet. Die vierköpfige Band lebt und arbeitet in der Aubrook-Community, einem der kreativsten kulturellen Zentren im Raum Kiels, dem wir u.a. auch die Kleszmer-Band “Di Chuzpenics” zu verdanken haben.
Das Line-up von “Julain’s Wake” (benannt nach einem verstorbenen Gründungsmitglied der Band, Julian) sind: Volker (Banjo, Bouzouki, Gesang), Annika (Akkordeon, Querflöte, Gesang), Gert (Bodhran, Tin Whistle, Gesang) und Bieni (Geige, Gesang). Als Gast spielt Chris den sog. “Gast-Bass” (sieht irgendwie nach Kontrabass aus).
Weil ich verrauchte und vollgedröhnte Kneipen nicht mag, freue ich mich nun tierisch darüber, dass es nun eine Live-CD aus dem Schafstall….äh: Studio gibt! Ich kann jetzt gemütlich zuhause mein schottisches Bier trinken (muss also nicht in so einer von diesen ungelungenen mitteleuropäischen Imitationen irischer oder schottischer Pubs sitzen) und verstehe auch wirklich jedes Wort bei den Songs!
Das war nämlich das allererste, was mir beim Anhören der CD auffiel: jedes Wort ist voll verständlich. Da wird nicht ins Mikro genuschelt. Vermutlich hat man sich vor den Aufnahmen mit viel p-t-k usw. gründlich eingesungen. Dazu kommt sicherlich auch die wirklich gute Aufnahmequalität. Diese CD ist also auch in aufnahmetechnischer Hinsicht ein Genuss!
Ausserdem: optisch nette Aufmachung, gut lesbarer Text, informative Fotos (beeindruckend: Volker mit Gitarre) und schöne Idee: die beiden Hunde, die da Pfote an Pfote gemütlich auf der Scheibe liegen. Über die Stücke hätte man gern noch mehr gelesen (...aber da muss dann halt der Rezensent ran).
Und musikalisch inhaltlich? Wir bekommen rund 43 Minuten Musik in 18 Tracks. Einige sind viel zu schnell vorüber. Ach so, und dann kann man noch den Bonus Track hören, wenn man den Schafschrei überstanden hat…
Das “Live-Konzert” beginnt mit dem grössten Folk-Ohrwurm aller Zeiten: “Star of County Down” auf Track 1 . Die irische Ballade handelt von einem jungen Mann, der von der Schönheit eines Mädchens “mit nussbraunem Haar” elektrisiert wurde und diese dann naturgemäss später auch heiratet. Die sicher gespielte Whistle und die schön warme Geige fallen erstmal sehr angenehm auf. Der Gesang ist sehr harmonisch. Eine tolle Version, die schon zu Beginn das Schaf zum Tanzen bringt!
Track 2 - Streams of Whisky - die schafbrave Kopie dieses Pogues-Titels…irgendwie vermisse ich hier doch leichtes pogueistisches Chaos. Die Crew wird lustig und der Hörer fragt sich, ob überhaupt während der Tage im Studio Whisky geflossen ist…probably not. Man muss ja auch nicht alles kopieren….
Track 3 - “Rakes of Mallow/ Turra Market” (...nicht Jura Market!) - “Turra” ist ein kleines Kaff im Nordosten Schottlands (Nähe Delgaty Estate). Dieses Stück wird also jetzt (schmunzel) unter falschem Namen in irgendeiner GEMA-Datei landen, und ist aufgrund des Schreibfehlers weiterhin also glücklicherweise frei spielbar….(es sei denn, der Kleinkunstveranstalter wird von der GEMA gefesselt und geknebelt, damit er “Jura Market” als “Neues Traditional” meldet…and by the way: I’m realy not amused by GEMA, liebe Wakies!).
Diese beiden Stücke aus aus dem Dashing-White-Sercheant-Set eines normal-schottischen Ceilidhband-Repertoires hättet Ihr wirklich länger ausspielen und fetter instrumentieren können (etwa mit dem Bass), damit sie tanzbarer werden. Das ist echt Powermusik, und das ganz ohne Macho-Texte! (Sorry…) Bodhran und Geige sind sehr schön. Die plötzliche Erhöhung der Geschwindigkeit ist unnötig und stoppt den Flow der Musik: ab dann wird sie hektisch. Ich finde es ok, wenn beim Spielen zum Tanzen die Geschwindigkeit langsam gesteigert wird, aber dann sollte das Stück auch mindestens über 10 Minuten laufen.
Track 4 - “Lifeboat Mona” - eine schottische Ballade von 8 wirklich mutigen Männern, die im Dezember 1959 trotz Sturm und heftigem Regen auf dem Rettungsboot namens Mona im Hilfseinsatz für das Feuerschif North Carr vor St. Andrews ihr Leben verloren und auf Carnousti Beach angespült wurden. Das Boot wurde übrigens später verbrannt, weil man glaubte, es wäre mit einem bösen Fluch belastet gewesen…..sowas ist eine typisch schottische Geschichte. Eines der mich sehr beeindruckenden Stücke auf dieser CD: ein sehr schönes Arrangement aus Banjo, Geige und Whistle umspielt die gesungenen Worte. Dazu ein treibender Akkordeonbass…die Unruhe dieser Schreckensnacht wird hörbar. Diese sehr schöne Moll-Dur-Akkordstruktur (vermutlich die Version der Dubliners war Vorbild, das Lied stammt von Peggy Seeger) scheint ein wenig typisch für “Julians Wake”-Musik zu sein.
Track 5 - ein sog. “Langdans” von der schwedischen Insel Öland - sonst schneller Session-Fetzer in der Folkszene seit 30 Jahren - geriet hier zu einem sehr lyrischen Konstrukt. Gast-Kontrabassist Chris verleiht dieser sehr schön arrangierten…man beachte z.B. die eindrucksvolle Pause kurz vor dem Schluss!...also: dieser sehr schön arrangierten Mini-Melodie eine angenehme Tiefe. Für diese Masse an wirklich guten Arrangement-Ideen ist dieser Titel - wie ich empfinde - aber leider doch zu kurz geraten.
Track 6 - “Swagger” - Geigerin Bieni dreht voll auf und der treibende Akkordeonbass von Annika zusammen mit Gast-Bass Chris und dem lockeren Banjo von Volker machen aus diesen zweimal acht Takten ein kleines Wunderwerk. Echte Prahlerei!...was der Übersetzung von “swagger” ja voll entspricht: aus nix können also die Wakies was machen!
Track 7 - “Red Haired Mary” - das naive Liedchen vom Tinker-Girl aus Dingle. Annika hat hier wirklich die authentische Travelin’-Tinker-Girly-Stimme und singt das komplizierte Lied in atemberaubender Geschwindigkeit und Stimmlage. Würde mir jemand erzählen, “Julain’s Wake” wäre eine dieser schottischen Folkbands aus Auchtermuchty oder Kirkcaldy, ich würds tatsächlich glauben. Und spätestens bei diesem vollkommen “authentisch” gesungenen Titel fühle ich mich in die “hüchty tüchty-Welt” der School of Scottish Studies in Edinburg versetzt….echt schaf!
Track 8 - “Ye Yacobites By Name” - Robby Burns sein Antikriegslied mit eindrucksvollem Bodhranspiel von Gert. “Ye Jacobites by name yer doctrines I maun proclaim,Your doctrines I maun blame, you will hear.” ...und weiter heisst es: “What makes heroic strife, to whet the assassin’s knife - and haunt a parent’s life with bloody war.” 18. Jahrhundert, doch aktuell wie nie zuvor!
Track 9 - “Ulrico’s Zydeco” wurde Mitte der 1980iger Jahre in Arhus aufgeschrieben und über interessante Umwege nach Kiel tradiert. Dieser Zydeco stammt von Ulrico Klostergard, dem ehemaligen Pianisten im Circus Tausendfuss im Freistaat Christiania bei Kopenhagen, der ihn damals in Arhus in der Fussgängerzone mit Akkordeon spielte. Jahre später soll Ulrico auf einem Mississippi-Dampfboot gesichtet worden sein und das auch nicht ohne sein Akkordeon. Leider spielen Julain’s Wake dieses arrangementfreudige und ausbaufähige Stückchen mit 1:20 viel zu kurz. Kaum hat es begonnen und man erwartet jetzt die zwei Dutzend möglichen Variationen der Melodie - wie das ja auch ein bißchen typisch für Zydecomusik ist - , so hört es schon auf….ich glaub mich schubst’n Schaf!
Track 10 - “If I Should Fall From Grace With God” ist ein kleiner etwas kryptisch anmutender Song mit streckenweise leicht nationalem Tunnelblick (“This land was always ours/ Was the proud land of our fathers /It belongs to us and them/ Not to any of the others”). Aber ausserdem natürlich ein später Hit der Pogues aus den späten 1980igern, in dem sich Shane McGowans Drogenprobleme schon abzeichnen….so I realy don’t mind (räusper räusper).
Track 11 - Bei “Roddy McCorley” beeindruckt mich die gelungene Kombination von Geige und Banjo. Thematisch geht es um die Hinrichtung des irischen Rebellen Roddy McCorley (dunkel…dunkel…) “Cherisch the Ladies” - der ewige Sessiontune - wird von Bieni leider etwas zu hastig angegangen. Etwas langsamer gespielt und besser betont würde das Stück viel besser zur Geltung kommen.
Track 12 - “Seagull” ist nun endlich mal ein selbstkomponiertes Stück von Julian’s Wake… anscheinend und leider wohl das einzige. Eine Melodie, die mir auffiel und die angenehm aus den bekannten Traditionals herausragt. Ich fühle mich besonders beim Sound der Geige ziemlich an die Ideen der niederländischen Band Flairck erinnert. Auch Flairck gehörte damals Anfang der 1980iger Jahre zu jenen Bands, die im Zuge des Folkrevivals mal nicht dauernd nach Irland schauten und neue, eigene Musik wagten. Mit “Seagull” haben wir Hoffnung, dass auch die MusikerInnen von Julain’s Wake eines Tages mal das vermeintlich sichere Terrain der traditionellen Folk-Standards gegen lebenslustigere eigene Musik eintauschen werden. Was wird aus traditioneller Musik, wenn nicht dauernd neue Sachen hinzukommen? (Und ich weiss ganz zufällig, dass in dieser Band jemand hervorragende eigene Lieder geschrieben hat…grins!)
Track 13 - “Bonnie Ship The Diamond”, der alte Hit der schottischen Band The Corries, der auf ein überliefertes Lied über ein gesunkenes Walfangschiff aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Das “leider” untergegangen ist, wie es - natürlich witzig gemeint und im Sinne der Wal-Freiheit - auf der Website von Julains Wake formuliert ist. Dass dort aber ebenso Menschen in den Fluten versanken wie die auf dem Rettungskreuzer Mona, sollte nicht vergessen werden. Bei diesem Stück beeindruckt wieder der Kontrabass, aber auch Geigerin Bieni mit ihren mal aggressiven, mal melodischen Zwischenspielen auf der immer angenehm warm tönenden Geige.
Track 14 - “Jar of Porter” - eine irische Ballade über die angeblich positiven Wirkungen, die das Einflößen von Alkohol bei Kindern bringen soll. Ich erinnere mich, wie gern die Dubliners dieses Lied sangen und wer die Geschichte dieser alten Band kennt, wird mir Recht geben: zu viel Alkohol ist nicht wirklich gut. Also Leute, passt auf! ....sonst toora loora loora la schubst Euch noch das Schaf!
Der Harmoniewechsel zu Track 15 gegenüber 14 ist ausgesprochen gelungen (aber das betrifft auch andere “Nahtstellen” auf der CD). “The Musical Priest” gehört zu meinen Lieblingsstücken und ist natürlich mit 1:11 wieder viel zu kurz geraten. Immerhin…Schaf sei dank!....ist es ausgesprochen schön von Bieni gespielt und in diesem tollen Studio mal wieder hervorragend aufgenommen und abgemischt worden.
Track 16 - “Boys From The County Hell” ist wieder ein Hit der Pogues mit einem ziemlich versauten und dummen Text. Während meiner Jahre in Schottland hab ich mich immer wieder gefragt, worin eigentlich der Reiz solcher Lieder besteht. Nach vier Jahren dämmerte mir dann die Antwort: es muss die Melodie sein, denn der Text ist schafegal…..so stört dieser damn f…g song also auch nicht weiter die positive Stimmung dieser schönen CD. Ähnlich wie Track 10 gehört es für mich ohnehin in die “Ein-Mann-ohne-Kilt-ist-kein-Mann”-Ecke. Thanks, but no thanks.
Track 17 - “The Road to Lisdoonvarna” ist ein sehr schön gespieltes Stück. Hier leidet die Qualität nicht unter der Spielgeschwindigkeit, weil es schwingt. Ob die Trampelpausen und überhaupt die Pausen musikalisch einen Sinn machen, ...das weiß das Schaf!
Track 18 - “The Real old Mountain Dew” beginnt mit verschmitztem Pfeifen und der Refrain wird gediddelt (im schottischen Auchtermuchty würdet Ihr damit bei den Diddling-Competitions des jährlichen Festivals den ersten Preis gewinnen!) In der JW-Eebsite heisst es: “Ein fröhliches Stück Musik über eine Sache, die uns sehr am Herzen liegt.” ...ja,ja…Real Old Mountain Dew ist eine Hymne auf den schwarz gebrannten irischen Kartoffelschnaps und ein Stück authentische Strassenmusik.
Wer glaubt, dass die CD nun zu Ende ist, sieht sich gewaltig getäuscht: nach einer Minute oder so meditativer Stille blökt das Schaf herzerweichend (...und wer die CD nicht kennt, rennt erstmal vor die Haustür und guckt…) und wir hören einen Bonus-Track, der im Inhaltsverzeichnis der Stücke keine Erwähnung findet, also eine Überraschung sein muss. “Cockels and Mussels” ist ein irisch-schottisches Tinkerliedchen über eine Marktfrau, die ihre Ware anbietet. Eine nette Zugabe beim Live-Konzert im Studio und man meint, eine leicht erschöpfte aber glückliche Band zu hören, die an diesem vielleicht letztem Aufnahmetag sicherlich keine großen Schafe mehr schubsen möchte…..
Diese durch und durch gelungene CD sollten wirklich alle Kieler im Schrank haben!
...und ein Grund mehr, dass die GEMA sich nun endlich mal an ihre goldene Nase packt und Gebühren und Verteilerschlüssel überdenkt, damit Veranstalter in Zukunft überhaupt Lust haben, “Julain’s Wake” zu buchen und vor allem: damit diese Band überhaupt Einkünfte aus der CD und aus ihrer Auftrittstätigkeit bekommen kann.
Julain’s Wake hat eine interessante Website: http://www.julainswake.de
und am Samstag dem 28.11.09 (also morgen!) findet die CD-Release-Party
mit Konzert im Subrosa in Kiel-Gaarden statt. Eintritt frei!