Das Line-up von “Julain’s Wake” (benannt nach
einem verstorbenen Gründungsmitglied der Band, Julian) sind: Volker
(Banjo, Bouzouki, Gesang), Annika (Akkordeon, Querflöte, Gesang), Gert
(Bodhran, Tin Whistle, Gesang) und Bieni (Geige, Gesang). Als Gast
spielt Chris den sog. “Gast-Bass” (sieht irgendwie nach Kontrabass aus).
Weil ich verrauchte und vollgedröhnte Kneipen nicht mag, freue ich
mich nun tierisch darüber, dass es nun eine Live-CD aus dem
Schafstall….äh: Studio gibt! Ich kann jetzt gemütlich zuhause mein
schottisches Bier trinken (muss also nicht in so einer von diesen
ungelungenen mitteleuropäischen Imitationen irischer oder schottischer
Pubs sitzen) und verstehe auch wirklich jedes Wort bei den Songs!
Das war nämlich das allererste, was mir beim Anhören der CD auffiel:
jedes Wort ist voll verständlich. Da wird nicht ins Mikro genuschelt.
Vermutlich hat man sich vor den Aufnahmen mit viel p-t-k usw. gründlich
eingesungen. Dazu kommt sicherlich auch die wirklich gute
Aufnahmequalität. Diese CD ist also auch in aufnahmetechnischer
Hinsicht ein Genuss!
Ausserdem: optisch nette Aufmachung, gut lesbarer Text, informative
Fotos (beeindruckend: Volker mit Gitarre) und schöne Idee: die beiden
Hunde, die da Pfote an Pfote gemütlich auf der Scheibe liegen. Über die
Stücke hätte man gern noch mehr gelesen (...aber da muss dann halt der
Rezensent ran).
Und musikalisch inhaltlich? Wir bekommen rund 43 Minuten Musik in 18
Tracks. Einige sind viel zu schnell vorüber. Ach so, und dann kann man
noch den Bonus Track hören, wenn man den Schafschrei überstanden hat…
Das “Live-Konzert” beginnt mit dem grössten Folk-Ohrwurm aller
Zeiten: “Star of County Down” auf Track 1 . Die irische Ballade handelt
von einem jungen Mann, der von der Schönheit eines Mädchens “mit
nussbraunem Haar” elektrisiert wurde und diese dann naturgemäss später
auch heiratet. Die sicher gespielte Whistle und die schön warme Geige
fallen erstmal sehr angenehm auf. Der Gesang ist sehr harmonisch. Eine
tolle Version, die schon zu Beginn das Schaf zum Tanzen bringt!
Track 2 - Streams of Whisky - die schafbrave Kopie dieses
Pogues-Titels…irgendwie vermisse ich hier doch leichtes pogueistisches
Chaos. Die Crew wird lustig und der Hörer fragt sich, ob überhaupt
während der Tage im Studio Whisky geflossen ist…probably not. Man muss
ja auch nicht alles kopieren….
Track 3 - “Rakes of Mallow/ Turra Market” (...nicht Jura Market!)
- “Turra” ist ein kleines Kaff im Nordosten Schottlands (Nähe Delgaty
Estate). Dieses Stück wird also jetzt (schmunzel) unter falschem Namen
in irgendeiner GEMA-Datei landen, und ist aufgrund des Schreibfehlers
weiterhin also glücklicherweise frei spielbar….(es sei denn, der
Kleinkunstveranstalter wird von der GEMA gefesselt und geknebelt, damit
er “Jura Market” als “Neues Traditional” meldet…and by the way: I’m
realy not amused by GEMA, liebe Wakies!).
Diese beiden Stücke aus aus dem Dashing-White-Sercheant-Set eines
normal-schottischen Ceilidhband-Repertoires hättet Ihr wirklich länger
ausspielen und fetter instrumentieren können (etwa mit dem Bass), damit
sie tanzbarer werden. Das ist echt Powermusik, und das ganz ohne
Macho-Texte! (Sorry…) Bodhran und Geige sind sehr schön. Die plötzliche
Erhöhung der Geschwindigkeit ist unnötig und stoppt den Flow der Musik:
ab dann wird sie hektisch. Ich finde es ok, wenn beim Spielen zum
Tanzen die Geschwindigkeit langsam gesteigert wird, aber dann sollte
das Stück auch mindestens über 10 Minuten laufen.
Track 4 - “Lifeboat Mona” - eine schottische Ballade von 8 wirklich
mutigen Männern, die im Dezember 1959 trotz Sturm und heftigem Regen
auf dem Rettungsboot namens Mona im Hilfseinsatz für das Feuerschif
North Carr vor St. Andrews ihr Leben verloren und auf Carnousti Beach
angespült wurden. Das Boot wurde übrigens später verbrannt, weil man
glaubte, es wäre mit einem bösen Fluch belastet gewesen…..sowas ist
eine typisch schottische Geschichte. Eines der mich sehr
beeindruckenden Stücke auf dieser CD: ein sehr schönes Arrangement aus
Banjo, Geige und Whistle umspielt die gesungenen Worte. Dazu ein
treibender Akkordeonbass…die Unruhe dieser Schreckensnacht wird hörbar.
Diese sehr schöne Moll-Dur-Akkordstruktur (vermutlich die Version der
Dubliners war Vorbild, das Lied stammt von Peggy Seeger) scheint ein
wenig typisch für “Julians Wake”-Musik zu sein.
Track 5 - ein sog. “Langdans” von der schwedischen Insel Öland -
sonst schneller Session-Fetzer in der Folkszene seit 30 Jahren - geriet
hier zu einem sehr lyrischen Konstrukt. Gast-Kontrabassist Chris
verleiht dieser sehr schön arrangierten…man beachte z.B. die
eindrucksvolle Pause kurz vor dem Schluss!...also: dieser sehr schön
arrangierten Mini-Melodie eine angenehme Tiefe. Für diese Masse an
wirklich guten Arrangement-Ideen ist dieser Titel - wie ich empfinde -
aber leider doch zu kurz geraten.
Track 6 - “Swagger” - Geigerin Bieni dreht voll auf und der
treibende Akkordeonbass von Annika zusammen mit Gast-Bass Chris und dem
lockeren Banjo von Volker machen aus diesen zweimal acht Takten ein
kleines Wunderwerk. Echte Prahlerei!...was der Übersetzung von
“swagger” ja voll entspricht: aus nix können also die Wakies was machen!
Track 7 - “Red Haired Mary” - das naive Liedchen vom Tinker-Girl aus
Dingle. Annika hat hier wirklich die authentische
Travelin’-Tinker-Girly-Stimme und singt das komplizierte Lied in
atemberaubender Geschwindigkeit und Stimmlage. Würde mir jemand
erzählen, “Julain’s Wake” wäre eine dieser schottischen Folkbands aus
Auchtermuchty oder Kirkcaldy, ich würds tatsächlich glauben. Und
spätestens bei diesem vollkommen “authentisch” gesungenen Titel fühle
ich mich in die “hüchty tüchty-Welt” der School of Scottish Studies in
Edinburg versetzt….echt schaf!
Track 8 - “Ye Yacobites By Name” - Robby Burns sein Antikriegslied
mit eindrucksvollem Bodhranspiel von Gert. “Ye Jacobites by name yer
doctrines I maun proclaim,Your doctrines I maun blame, you will hear.”
...und weiter heisst es: “What makes heroic strife, to whet the
assassin’s knife - and haunt a parent’s life with bloody war.” 18.
Jahrhundert, doch aktuell wie nie zuvor!
Track 9 - “Ulrico’s Zydeco” wurde Mitte der 1980iger Jahre in Arhus
aufgeschrieben und über interessante Umwege nach Kiel tradiert. Dieser
Zydeco stammt von Ulrico Klostergard, dem ehemaligen Pianisten im
Circus Tausendfuss im Freistaat Christiania bei Kopenhagen, der ihn
damals in Arhus in der Fussgängerzone mit Akkordeon spielte. Jahre
später soll Ulrico auf einem Mississippi-Dampfboot gesichtet worden
sein und das auch nicht ohne sein Akkordeon. Leider spielen Julain’s
Wake dieses arrangementfreudige und ausbaufähige Stückchen mit 1:20
viel zu kurz. Kaum hat es begonnen und man erwartet jetzt die zwei
Dutzend möglichen Variationen der Melodie - wie das ja auch ein bißchen
typisch für Zydecomusik ist - , so hört es schon auf….ich glaub mich
schubst’n Schaf!
Track 10 - “If I Should Fall From Grace With God” ist ein kleiner
etwas kryptisch anmutender Song mit streckenweise leicht nationalem
Tunnelblick (“This land was always ours/ Was the proud land of our
fathers /It belongs to us and them/ Not to any of the others”). Aber
ausserdem natürlich ein später Hit der Pogues aus den späten 1980igern,
in dem sich Shane McGowans Drogenprobleme schon abzeichnen….so I realy
don’t mind (räusper räusper).
Track 11 - Bei “Roddy McCorley” beeindruckt mich die gelungene
Kombination von Geige und Banjo. Thematisch geht es um die Hinrichtung
des irischen Rebellen Roddy McCorley (dunkel…dunkel…) “Cherisch the
Ladies” - der ewige Sessiontune - wird von Bieni leider etwas zu hastig
angegangen. Etwas langsamer gespielt und besser betont würde das Stück
viel besser zur Geltung kommen.
Track 12 - “Seagull” ist nun endlich mal ein selbstkomponiertes
Stück von Julian’s Wake… anscheinend und leider wohl das einzige. Eine
Melodie, die mir auffiel und die angenehm aus den bekannten
Traditionals herausragt. Ich fühle mich besonders beim Sound der Geige
ziemlich an die Ideen der niederländischen Band Flairck erinnert. Auch
Flairck gehörte damals Anfang der 1980iger Jahre zu jenen Bands, die im
Zuge des Folkrevivals mal nicht dauernd nach Irland schauten und neue,
eigene Musik wagten. Mit “Seagull” haben wir Hoffnung, dass auch die
MusikerInnen von Julain’s Wake eines Tages mal das vermeintlich sichere
Terrain der traditionellen Folk-Standards gegen lebenslustigere eigene
Musik eintauschen werden. Was wird aus traditioneller Musik, wenn nicht
dauernd neue Sachen hinzukommen? (Und ich weiss ganz zufällig, dass in
dieser Band jemand hervorragende eigene Lieder geschrieben hat…grins!)
Track 13 - “Bonnie Ship The Diamond”, der alte Hit der schottischen
Band The Corries, der auf ein überliefertes Lied über ein gesunkenes
Walfangschiff aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zurückgeht.
Das “leider” untergegangen ist, wie es - natürlich witzig gemeint und
im Sinne der Wal-Freiheit - auf der Website von Julains Wake formuliert
ist. Dass dort aber ebenso Menschen in den Fluten versanken wie die auf
dem Rettungskreuzer Mona, sollte nicht vergessen werden. Bei diesem
Stück beeindruckt wieder der Kontrabass, aber auch Geigerin Bieni mit
ihren mal aggressiven, mal melodischen Zwischenspielen auf der immer
angenehm warm tönenden Geige.
Track 14 - “Jar of Porter” - eine irische Ballade über die angeblich
positiven Wirkungen, die das Einflößen von Alkohol bei Kindern bringen
soll. Ich erinnere mich, wie gern die Dubliners dieses Lied sangen und
wer die Geschichte dieser alten Band kennt, wird mir Recht geben: zu
viel Alkohol ist nicht wirklich gut. Also Leute, passt auf! ....sonst
toora loora loora la schubst Euch noch das Schaf!
Der Harmoniewechsel zu Track 15 gegenüber 14 ist ausgesprochen
gelungen (aber das betrifft auch andere “Nahtstellen” auf der CD). “The
Musical Priest” gehört zu meinen Lieblingsstücken und ist natürlich mit
1:11 wieder viel zu kurz geraten. Immerhin…Schaf sei dank!....ist es
ausgesprochen schön von Bieni gespielt und in diesem tollen Studio mal
wieder hervorragend aufgenommen und abgemischt worden.
Track 16 - “Boys From The County Hell” ist wieder ein Hit der
Pogues mit einem ziemlich versauten und dummen Text. Während meiner
Jahre in Schottland hab ich mich immer wieder gefragt, worin eigentlich
der Reiz solcher Lieder besteht. Nach vier Jahren dämmerte mir dann die
Antwort: es muss die Melodie sein, denn der Text ist schafegal…..so
stört dieser damn f…g song also auch nicht weiter die positive Stimmung
dieser schönen CD. Ähnlich wie Track 10 gehört es für mich ohnehin in
die “Ein-Mann-ohne-Kilt-ist-kein-Mann”-Ecke. Thanks, but no thanks.
Track 17 - “The Road to Lisdoonvarna” ist ein sehr schön gespieltes
Stück. Hier leidet die Qualität nicht unter der Spielgeschwindigkeit,
weil es schwingt. Ob die Trampelpausen und überhaupt die Pausen
musikalisch einen Sinn machen, ...das weiß das Schaf!
Track 18 - “The Real old Mountain Dew” beginnt mit verschmitztem
Pfeifen und der Refrain wird gediddelt (im schottischen Auchtermuchty
würdet Ihr damit bei den Diddling-Competitions des jährlichen Festivals
den ersten Preis gewinnen!) In der JW-Eebsite heisst es: “Ein
fröhliches Stück Musik über eine Sache, die uns sehr am Herzen liegt.”
...ja,ja…Real Old Mountain Dew ist eine Hymne auf den schwarz
gebrannten irischen Kartoffelschnaps und ein Stück authentische
Strassenmusik.
Wer glaubt, dass die CD nun zu Ende ist, sieht sich gewaltig
getäuscht: nach einer Minute oder so meditativer Stille blökt das Schaf
herzerweichend (...und wer die CD nicht kennt, rennt erstmal vor die
Haustür und guckt…) und wir hören einen Bonus-Track, der im
Inhaltsverzeichnis der Stücke keine Erwähnung findet, also eine
Überraschung sein muss. “Cockels and Mussels” ist ein
irisch-schottisches Tinkerliedchen über eine Marktfrau, die ihre Ware
anbietet. Eine nette Zugabe beim Live-Konzert im Studio und man meint,
eine leicht erschöpfte aber glückliche Band zu hören, die an diesem
vielleicht letztem Aufnahmetag sicherlich keine großen Schafe mehr
schubsen möchte…..
Diese durch und durch gelungene CD sollten wirklich alle Kieler im Schrank haben!
...und ein Grund mehr, dass die GEMA sich nun endlich mal an ihre
goldene Nase packt und Gebühren und Verteilerschlüssel überdenkt, damit
Veranstalter in Zukunft überhaupt Lust haben, “Julain’s Wake” zu buchen
und vor allem: damit diese Band überhaupt Einkünfte aus der CD und aus
ihrer Auftrittstätigkeit bekommen kann.
Julain’s Wake hat eine interessante Website: http://www.julainswake.de
und am Samstag dem 28.11.09 (also morgen!) findet die CD-Release-Party
mit Konzert im Subrosa in Kiel-Gaarden statt. Eintritt frei!
Geschrieben von Martin Rzeszut am 27. November 2009 um 15:00 Uhr
Daaanke für den Text!